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„Warum es die Welt nicht gibt“ von Markus Gabriel

Wir Menschen haben die Angewohnheit alles aufzuteilen. Unsere Erde besteht aus Land und Wasser, das Land wiederum aus Kontinenten. Die Kontinente bestehen aus Ländern, usw.. Mit diesen und anderen Einteilungen leben wir täglich und sie sind für uns so gewohnt, dass wir sie gar nicht mehr bemerken.

Markus Gabriel geht davon aus, dass eben diese Einteilungen mehr sind als sie scheinen. Nehmen wir einen Gegenstand[1], ich meinen Kugelschreiber und Sie, was auch immer Sie gerade in Reichweite haben. Was macht diese Gegenstände zu den Gegenständen, die sie für uns sind? Mein Kugelschreiber schreibt. Dies ist nach Markus Gabriel seine Eigenschaft. Mein Kugelschreiber ist also, Markus Gabriel folgend, ein Kugelschreiber, weil er schreibt und nicht zum Beispiel fliegt. Die Eigenschaften bestimmen demnach, was ein Gegenstand ist (vgl. S.70f., WEDWNG). Mein Kugelschreiber gehört zu einer Gruppe, aufgeteilt von anderen. Mein Kugelschreiber ist ein Stift. Diese Gruppe „Stifte“ nennt Markus Gabriel einen Gegenstandsbereich (vgl. S. 35, WEDWNG). Es gibt für Markus Gabriel viele dieser Gegenstandsbereiche, manche haben keine Berührungspunkte und andere kreuzen sich (vgl. S.50, WEDWNG). Nehmen wir zum Beispiel den Gegenstandsbereich „Schule“. Dieser Gegenstandsbereich enthält Bücher, aber auch der Gegenstandsbereich „Bibliothek“ enthält Bücher. Der Gegenstandsbereich „Bücher“ kreuzt also sowohl den Gegenstandsbereich „Schule“, als auch den Gegenstandsbereich „Bibliothek“, existiert aber auch außerhalb von beiden.

Wir kennen aber nicht nur Gegenstände. Wir kennen zum Beispiel auch Träume. Worin unterscheidet sich ein Traum von meinem Stift? Meinen Stift kann ich anfassen und sehen. Ich kann ihn deutlich von anderen Stiften unterscheiden und ich weiß ganz genau wie viele Stifte ich habe. Bei einem Traum kann ich das nicht. Für Markus Gabriel bestehen Gegenstandsbereiche also aus deutlich unterscheidbaren und zählbar vielen Dingen (vgl. S.88, WEDWNG). Was ist nun aber mit den anderen Bereichen, wie eben dem Bereich der Träume? Was für eine Art Bereich sind die Träume? Markus Gabriel nennt diese Bereiche Sinnfelder (vgl. S.88, WEDWNG). Seine Sinnfelder enthalten aber genauso Gegenstände (zum Beispiel Stifte) wie auch Träume, etc.. Sinnfelder sind nach Markus Gabriel „die Orte, an denen überhaupt etwas erscheint“ (vgl. S.68, WEDWNG). Im Umkehrschluss existiert nur, was auch in einem Sinnfeld vorkommt (vgl. S.87, WEDWNG). Das heißt aber auch, dass jedes Sinnfeld in einem anderen Sinnfeld erscheinen muss (vgl. S.103, WEDWNG). Gäbe es nur einen Gegenstand, gäbe es keinen Gegenstand, denn es gäbe kein Sinnfeld, in dem dieser erscheinen könnte (vgl. S.102f., WEDWNG). Wenn es einen Gegenstand und ein Sinnfeld gibt, muss es ein weiteres Sinnfeld geben, in dem das erste Sinnfeld erscheint. Daraus folgt, dass es unendlich viele Sinnfelder geben muss (vgl. S. 102, WEDWNG). Diese unendlich vielen Sinnfelder verhalten sich nach Markus Gabriel zueinander wie die Gegenstandsbereiche. Teilweise kreuzen sie sich und teilweise haben sie auch gar keine Berührungspunkte (vgl. S.94, WEDWNG).

Für dieses Buch entscheidend ist die Frage nach der Welt. Markus Gabriel definiert, dass die Frage nach der Welt die Frage nach dem Ganzen ist (vgl. S.33, WEDWNG). Aber was ist „das Ganze“? Wir wissen inzwischen, dass es, der These Markus Gabriels folgend, unendlich viele Sinnfelder geben muss und dass für ihn nur existiert was in einem Sinnfeld existiert. Das Ganze ist alles, was existiert. Das Ganze muss dementsprechend Markus Gabriel folgend die Gesamtheit aller Sinnfelder sein, da es außerhalb des Ganzen, also der Welt, für ihn gar nichts gibt (vgl. S.97, WEDWNG) und, wie bereits erwähnt, bei Markus Gabriel nur existiert, was in einem Sinnfeld erscheint (vgl. S.87, WEDWNG). Die Welt ist für Markus Gabriel also „das Sinnfeld aller Sinnfelder“ (vgl. S.96, WEDWNG). Sie muss nach Markus Gabriel um zu existieren aber ebenso in einem anderen Sinnfeld vorkommen (vgl. S. 97, WEDWNG).

Wir haben also die Welt, die die Sinnfelder S1,S2, und alle weiteren Sinnfelder enthält. Die Welt muss aber auch, da nach Markus Gabriel nur existiert, was in einem Sinnfeld erscheint, in S1 erscheinen, also im Ganzen: Wir haben die Welt, die unendlich viele Sinnfelder enthält und in einem dieser Sinnfelder kommt die Welt mit all ihren Sinnfeldern noch einmal vor usw.. Jetzt haben wir aber das Problem, dass es, wie bereits festgestellt, außerhalb der Welt für Markus Gabriel nichts gibt (vgl. S.97, WEDWNG). Die Welt jenseits der Welt in S1 kann es also nach Markus Gabriel nicht geben und so geht das immer weiter, da es auch in der Welt in S1, ein S1 geben müsste, welches die Welt enthielte. Die Welt widerspricht sich dieser These folgend von innen heraus. Die Welt kann für Markus Gabriel in der Welt nicht vorkommen (vgl. S.98, WEDWNG). Somit existiert die Welt für Markus Gabriel nicht, da sie in keinem Sinnfeld vorkommen kann (vgl. S.103, WEDWNG).

Im Gegensatz dazu beantwortet er die Gottesfrage positiv. Es gibt für Markus Gabriel unendlich viele Sinnfelder und gerade deshalb muss es, um Markus Gabriel zu zitieren, „mehr (geben), als wir uns gedacht haben“ (vgl. S.178, WEDWNG). Dies würde eine Existenz Gottes befürworten.

Sollte Gott existieren, muss er aber, damit er nach Markus Gabriel existieren kann, in einem Sinnfeld vorkommen (vgl. S.208, WEDWNG). Nur in welchem Sinnfeld kommt Gott in diesem Fall vor und wie?

Für Markus Gabriel ist die Suche nach Gott die Suche nach uns selbst (vgl. S.210f., WEDWNG)[2]. Der Abbruch dieser Suche mit einer „einfachen Antwort“ ist für ihn nichts anderes als Selbstbetrug (vgl. S.211, WEDWNG). Der Mensch versucht seit jeher, sich selbst, den eigenen Geist, zu verstehen. Es ist allerdings wesentlich leichter, etwas außerhalb von uns selbst zu verstehen und dann auf uns selbst zu übertragen[3]. Genau diese Suche nach dem „Menschlichen“ außerhalb des Menschen ist für Markus Gabriel die Suche nach Gott (vgl. S.198, WEDWNG). Dementsprechend ist Gott für ihn das „Menschliche“ außerhalb des Menschen.

Markus Gabriel Grundgedanken der Sinnfelder finde ich äußerst spannend und sehe darin auch eine interessante Sichtweise. Mir stellt sich dabei nur immer die Frage, wie ein nach Markus Gabriel absolut subjektiver Mensch (vgl. S.240, WEDWNG) erkennen will, dass alles in Sinnfelder aufgeteilt ist. Ich gebe ihm selbstverständlich insofern Recht, als dass der Mensch bei der Betrachtung der Welt nicht hinaus dividiert werden darf (vgl. S.120f., WEDWNG), aber ich halte seine Positionierung des Menschen für problematisch. Er sagt, dass wir uns durch die Sinnfelder bewegen (vgl. S.123, WEDWNG). Aber wie erklärt er, dass wir uns durch alle Sinnfelder auf verschiedene Weise bewegen? Mein Körper kann schließlich nicht im gleichen Sinnfeld wie ein Einhorn existieren, mein Geist aber schon. Inwieweit sind nach seiner These Körper und Geist eins? Dass sie nicht getrennt existieren können, sagt Markus Gabriel selbst (vgl. S.143, WEDWNG). Aber wie kann es sein, dass es Sinnfelder gibt, die nur mein Geist betreten kann, die ich aber ganz anders wahrnehme? Existiere ich dann in zwei Feldern gleichzeitig, getrennt und doch eins?

Markus Gabriels Anwort auf die Gottesfrage hat mich insgesamt stark an Feuerbach erinnert (vgl. S.150f., Vernünftig Glauben). Das Problem am Glauben ist ja, dass man „glauben“ muss. Markus Gabriels Lösung beinhaltet „glauben“ aber gar nicht mehr. Ich stelle mir in diesem Hinblick immer die Frage, inwiefern etwas allein dadurch entsteht, dass man daran glaubt.

Was die Frage nach der Welt anbelangt, habe ich meine Probleme weniger mit der Schlussfolgerung, als vielmehr mit der Grundaussage. Markus Gabriel definiert nämlich, dass die Welt „das Ganze“ ist (vgl. S.96f./33, WEDWNG). Markus Gabriel geht  zu Beginn auf all die verschiedenen Weisen ein, das Wort Welt zu verwenden (vgl. S.47, WEDWNG) und ich bin der Meinung, dass ein so vielseitiges Wort wie die Welt sich nicht so leicht definiert. Wir definieren ja nicht x-beliebig, sondern danach wie das Wort verwendet und verstanden wird. Dementsprechend ist die Welt viel mehr und viel weniger als „das Ganze“.

Kurz Zusammengefasst: Markus Gabriels These ist meiner Meinung nach eine unglaublich faszinierende Sichtweise, hat aber noch ein paar offene Fragen zu klären.

 

[1] Für Markus Gabriel ist ein Gegenstand etwas, worüber man wahrheitsfähig nachdenken kann (vgl. S.72, „Warum es die Welt nicht gibt“ im folgenden WEDWNG genannt)

[2] Markus Gabriel bezieht sich hier auf Kierkegaard

[3] Ganz ähnlich sieht es Ludwig Feuerbach (vgl. S.150f., Vernünftig Glauben), ein deutscher Philosoph und Anthropologe. Ludwig Andreas Feuerbach, geboren am 28. Juli 1804 in Landshut und verstorben am 13. September 1872 in Rechenberg, nahm mit seiner Religions- und Idealismus Kritik großen Einfluss auf den Vormärz.

(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Feuerbach)

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